Ein Fels mit vielen Herren: Die bewegte Geschichte der Insel Helgoland
Die nur 1,7 Quadratkilometer große Insel mag klein sein, doch ihre Geschichte ist bemerkenswert umfangreich. Helgoland erlebte eine Abfolge wechselnder Machthaber und dramatischer Wendungen.

Mitten in der Nordsee, etwa 70 Kilometer vom Festland entfernt, erhebt sich ein markanter roter Buntsandsteinfelsen aus dem Meer: Helgoland. Vor etwa 3500 Jahren löste sich im Zuge des ansteigenden Meeresspiegels ein Felsgebilde vom Festland – die Geburtsstunde Helgolands. Archäologische Funde belegen, dass die Gegend bereits in der Bronzezeit (circa 2200 bis 800 v. Chr.) bewohnt war und eine kulturelle Blüte erlebte. Damals war die Insel noch deutlich größer als heute, was im 20. Jahrhundert einige Wissenschaftler zur Vermutung verleitete, bei den untergegangenen Landesteilen könnte es sich um das sagenhafte Atlantis handeln.
Ab dem Jahr 800 n. Chr. taucht in historischen Dokumenten erstmals der Name "Heiligland" auf. Im Mittelalter erstreckte sich Helgoland auf einer Fläche, die etwa viermal so groß war wie die heutige Insel.
Piraten, Schmuggler und die Teilung der Insel
Ab dem 13. Jahrhundert berichten historische Quellen wiederholt vom Einfluss dänischer Herrscher und Piraten auf Helgoland. Mitte des 14. Jahrhunderts beschwert sich eine Hamburger Urkunde über einen dänischen Ritter, der die Insel zu einem "Seeräubernest" gemacht habe.
Im Jahr 1401 kam es nahe Helgoland zu einer bedeutenden Seeschlacht, bei der Hamburger Truppen den berüchtigten Piraten Klaus Störtebeker gefangen nahmen. Obwohl viele Helgoländer stolz auf diesen "Besucher" sind, bleibt historisch ungewiss, ob er tatsächlich jemals die Insel betreten hat.
1714 wurde Helgoland offiziell dänisch. In dieser Zeit nagte die See unablässig am Kreidefelsen der Insel, während die Bewohner Muschelkalk und Gips in großen Mengen als Baustoff zum Festland verschifften – ein Umstand, der die natürliche Erosion noch beschleunigte.
Ein einschneidendes Ereignis traf die Insel 1720: Eine gewaltige Sturmflut zerstörte die bereits unterhöhlte Landzunge zwischen dem Buntsandsteinfelsen der Hauptinsel und dem flacheren Dünengebiet. Seither ist Helgoland zweigeteilt, wobei sich auf der Düne später der Badebetrieb entwickelte.
Unter britischer Flagge: Schmuggel und erste Touristen
Ein dramatischer Machtwechsel erfolgte 1807, als britische Truppen Helgoland eroberten. Die strategische Bedeutung der Insel war beträchtlich: Von hier aus wollten die Engländer die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre umgehen, die den Handel mit Großbritannien unterbinden sollte. Helgoland entwickelte sich in dieser Zeit zu einem florierenden Schmugglerparadies. Insulaner, englische Besatzer und Schmuggler erlebten regelrechte "goldene Zeiten". Nach Napoleons Niederlage 1814 folgte jedoch der wirtschaftliche Abstieg.
Ein Wendepunkt in der Geschichte der Insel war das Jahr 1826, als ein unternehmungslustiger Inselbewohner den kühnen Entschluss fasste, ein Seebad zu gründen. Schon bald lockten die einzigartige Landschaft und das besondere Klima zahlreiche Künstler und wohlhabende Touristen an. Zu den prominentesten Besuchern zählte Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der hier 1841 das "Lied der Deutschen" (die spätere Nationalhymne) dichtete. Auch Heinrich Heine gehörte zu den Verehrern Helgolands. Sein Ausspruch "Das Meer riecht wie Kuchen" wird bis heute gerne zitiert.
Deutsch durch Tausch: Der Helgoland-Sansibar-Vertrag
Am 10. August 1890 nahm Kaiser Wilhelm II. Helgoland für das Deutsche Reich in Besitz. Möglich wurde dies durch den sogenannten "Helgoland-Sansibar-Vertrag": Die bis dahin britische Insel wurde dem preußischen Staat zugesprochen, während das Deutsche Reich im Gegenzug auf seine Ansprüche auf das Sultanat Sansibar vor der Küste Ostafrikas verzichtete. Für das Deutsche Reich bedeutete der Erwerb Helgolands einen strategischen Vorteil zur Sicherung der Nordseeküste.
Mit dem deutschen Machtwechsel begann eine Phase des Umbaus und der Militarisierung. Die kleine Insel wurde zunehmend als strategisch wichtiger Vorposten in der Nordsee betrachtet.
Im Schatten der Weltkriege
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 mussten alle Zivilisten Helgoland verlassen. Der Felsen wurde zu einer massiven Seefestung ausgebaut, die die deutsche Nordseeküste schützen sollte. Die Seeschlachten vor Helgoland brachten verheerende Zerstörungen für die Insel. Als die Insulaner nach Kriegsende zurückkehren durften, fanden sie ihre Heimat in Schutt und Asche vor.
Kaum hatte sich der Tourismus wieder etwas erholt, begann mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten die nächste Phase der militärischen Aufrüstung. Weiträumige Bunkeranlagen entstanden, und der Hafen wurde für den Verkehr großer Kriegsschiffe und U-Boote umgebaut. 1937 entwickelte das Oberkommando der Kriegsmarine ein umfassendes Hafenkonzept, die sogenannte "Hummerschere".
Bis 1943 blieb Helgoland vom direkten Kriegsgeschehen des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont, dann nahmen amerikanische Bomber die Insel ins Visier.
Nachkriegszeit: "Big Bang" und Wiederaufbau
Am 18. April 1945, kurz vor Kriegsende, versuchte eine Gruppe deutscher Widerständler, die Insel kampflos zu übergeben – vergeblich. Am selben Tag griffen etwa 1000 alliierte Flugzeuge die kleine Insel an. Als Helgoland wenige Tage nach der deutschen Kapitulation an die britischen Streitkräfte ausgeliefert wurde, war das Eiland nur noch ein Trümmerfeld.
Die nun menschenleere Insel wurde zum Bombenübungsziel für die Royal Air Force. Britische Soldaten sprachen zynisch vom "Hell go Land" – vom Land, das zur Hölle geht. Der dramatische Höhepunkt dieser Phase folgte am 18. April 1947: Mit der "Operation Big Bang" lösten die Briten per Fernzündung die größte nichtnukleare Sprengung der Geschichte aus. Das unterirdische Stollensystem des einstigen deutschen Flottenstützpunktes flog in die Luft. Doch der Felsen trotzte den rund 4000 Tonnen Sprengstoff und blieb in seinen Grundfesten erhalten.
Der Zusammenhalt der evakuierten Helgoländer war beeindruckend, ihr Protest gegen die Zerstörung ihrer Heimat wuchs stetig. Im Dezember 1950 gelang es Heidelberger Studenten, die Insel in einer Protestaktion zu besetzen. Sie hissten die Europaflagge und verbrachten die Weihnachtsfeiertage allein zwischen den Trümmern. Bald folgten die ersten Helgoländer und kehrten trotz Verbot auf ihre Heimatinsel zurück, bis das britische Militär einschritt.
Nach diplomatischen Verhandlungen unter Bundeskanzler Konrad Adenauer konnte am 1. März 1952 endlich wieder die deutsche Flagge auf Helgoland gehisst werden. Fast alle Gebäude waren zerstört; der 35 Meter hohe Leuchtturm war das einzige Bauwerk auf der Insel, das den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden überstanden hatte.
Adenauer erklärte den Wiederaufbau zur "Herzenssache des ganzen deutschen Volkes". Unverzüglich begannen die Helgoländer mit der Beseitigung der Trümmer. Bereits wenige Monate später ankerte der erste Touristendampfer wieder vor der Insel.
Helgoland heute: Lebendige Geschichte
Dem heutigen Helgoland sieht man kaum noch an, dass es auf einem Trümmerhaufen errichtet wurde. Die Insel hat sich zu einem beliebten Touristenziel entwickelt, das jährlich tausende Besucher anzieht. Die bunte Häuserreihe im Unterland, die sogenannte "Hummerbude", ist zum Wahrzeichen der Insel geworden.
Die Geschichte Helgolands ist heute an vielen Orten der Insel sichtbar und erlebbar:
- Im Museum Helgoland finden sich zahlreiche Exponate zur wechselvollen Geschichte der Insel
- Reste der Bunkeranlagen aus den Weltkriegen können besichtigt werden
- Der monumentale Gedenkstein zum Deutschlandlied erinnert an Heinrich Hoffmann von Fallersleben
- Das "Lange Anna" genannte Felsentor zeugt von den geologischen Veränderungen der Insel
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